Interview mit Quinteto Ángel
Quinteto Ángel zählt zu den bekanntesten deutschen Tangoensembles und passend zu ihrem 20. Bühnenjubiläum erschien soeben ihre 6. CD „Alma, corazón y vida“ auf unserem Label. Die fünf Musiker, die aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen wie dem Jazz, der Klassik und dem Tango zusammen fanden, besitzen seit langem ihre ganz eigene Klangfarbe und Interpretation des vielfältigen Genre Tango. In einem Interview, welches wir stellvertretend mit zwei der fünf Mitglieder von Quinteto Ángel führen durften, erfahren wir ein bisschen mehr über die Entstehung und Inspiration vom „Alma, corazón y vida“. Das Interview wurde mit dem Bandoneonisten Christian Gerber und dem Pianisten Frank Schulte geführt.
Lieber Christian und Frank: Herzlichen Glückwunsch zur bereits 6. CD von Quinteto Ángel. „Alma, corazón y vida“ (Seele, Herz und Leben) ist ein starker Titel, der Begriffe nennt, die für das Beschreiben der Gefühlswelt im Tango sehr wichtig sind. Wurde dieser Titel auch als „Kampfansage“ gegen die Pandemie gewählt? In eurem Beitrag auf Facebook zu eurem 20. Bühnenjubiläum schreibt ihr, dass ihr voller Vorfreude und positiv auf dieses Jahr 2021 schaut. Das sind ermutigende Worte. Gerade in dem Kontext, dass wir zum momentanen Zeitpunkt nur spekulieren können, wann eure Musik wieder live erklingen wird.
Frank: An sich sind wir im Quintett denke ich alle positiv denkende Menschen, auch wenn es momentan manchmal schwerfällt. Den Titel haben wir uns ausgesucht, weil er die Art, wie wir gerne miteinander musizieren sehr schön ausdrückt. Und der Tango ist für mich eine Musik, die all das beinhaltet was in den Worten steckt – eben das ganze Leben mit all seinen fröhlichen, traurigen, überschäumenden und sentimentalen Stimmungen.
Christian: Und unabhängig davon wann wir das neue Programm wieder live und zusammen mit Publikum erleben können: gerade durch die Krise im letzten Jahr wurde mir nochmals bewusst, wie wichtig unser Beruf auch für uns selbst ist. Was sonst so selbstverständlich und fester, sinnbringender Bestandteil meines täglichen Lebens ist, war völlig unerwartet von einem Tag auf den anderen weg. In den Monaten der Vorbereitung der Aufnahmen, den Proben und der Zeit im Studio wieder eine Perspektive zu haben, zusammenzukommen und gemeinsam Musik zu machen hat mir ganz persönlich sehr dabei geholfen die Situation zu verarbeiten und zu überstehen…ich glaube auch deswegen ist gerade dieser Titel so passend für das Album.
Viele Musiker*innen haben die ersten Monate der Pandemie genutzt um Musik zu produzieren. Dies war ja auch eines der wenigen Möglichkeiten sich weiterhin mit dem Instrument und mit Musik zu beschäftigen. Ist „Alma, corazón y vida“ eine sogenannte „Corona-CD“ oder hattet ihr schon davor den Plan, dass 2020 euer 6. Album erscheinen soll?
Christian: Unsere letzte CD „5 al Tango“, die ja auch schon auf eurem Label erschienen ist, haben wir 2014 veröffentlicht. Also war ein neues Album eigentlich schon lange überfällig, und den Wunsch wieder ins Studio zu gehen, hatten wir schon länger. Aber wie es immer so ist, alle hatten verschiedenste Projekte, zu viel anderes zu tun. Und als dann im letzten März der Vorhang fiel, haben wir überlegt – was bietet die besondere Situation vielleicht auch für Chancen für das Quintett? Gute Arrangements und Transkriptionen zu erstellen braucht Zeit – und die hatten wir auf einmal. So haben wir also im Frühjahr und Sommer viele neue Stücke für das Quintett vorbereiten können, darunter manche Titel, die wir schon lange spielen wollten. Und alle zusammenbringen für eine intensive Proben- und Aufnahmephase im August war auf einmal auch ein Kinderspiel!
Auch ohne Pandemie erscheint es mir bei Quinteto Ángel ein größeres Unterfangen, sich zu Proben zu treffen, da ihr in 3 verschiedenen Städten lebt. Wie habt ihr diese CD ganz praktisch vorbereitet und habt ihr auch Online-Probenformate ausprobiert?
Frank: Zunächst einmal ist die individuelle Vorbereitung wichtig. Wir versuchen, unsere Arrangements schon vorab so detailliert wie möglich einzurichten, damit wir uns dann voll aufs eigentliche Musizieren konzentrieren können, wenn wir uns „live“ sehen. Natürlich profitieren wir auch ein bisschen davon, dass wir schon sehr lange zusammenspielen (bei Christian und mir sind es inzwischen 25 Jahre in verschiedenen Formationen!) Für die CD hatten wir einige Vorproben mit den drei in Berlin lebenden Musikern, dann drei intensive Probentage vor der Aufnahme. Mit den Online-Formaten haben wir uns bisher nicht anfreunden können, aber vielleicht kommt das noch.
Was waren die Herausforderungen bei der 6. CD (während Pandemie) im Gegensatz zu den Produktionen davor (ohne Pandemie)
Frank: Dadurch, dass wir im August aufgenommen haben, hatten wir das Glück, keine besonders strikten Einschränkungen befolgen zu müssen. Wir haben uns allerdings die heißeste Woche des Jahres ausgesucht. In dem Loft, in dem die Proben stattfanden herrschten gefühlte 50 Grad und auch im Studio war es ordentlich warm…und am zweiten Probentag wurden wir unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, der mich mein Auto und das Quintett zwei wertvolle Proben-Stunden gekostet hat. Immerhin waren wir alle unverletzt und kein Instrument beschädigt! Im Studio hat es dann einfach nur noch Riesenspaß gemacht, zu Musizieren – was für ein Geschenk!
Wann und wo wurde die CD aufgenommen?
Frank: Wir haben die CD an drei Tagen im August 2020 im „Traumton Studio“ in Berlin-Spandau aufgenommen. Mit Markus Mittermeyer hatten wir einen wunderbaren Tonmeister, der nicht nur ein exzellentes Ohr hat, sondern uns auch sensibel und geschickt durch alle Höhen und Tiefen, die man bei so einer Aufnahmesession erlebt, begleitet hat. Danke, Markus! Und das Studio, ein alter Kino- bzw. Ballsaal ist akustisch und atmosphärisch wunderbar für unsere Musik geeignet. René Loeffler hat diese Atmosphäre auf den Studiobildern zum Booklet auch ganz fantastisch eingefangen. Ich persönlich freue mich natürlich auch darüber, auf einem tollen Steinway-D Flügel spielen zu können, aber das nur am Rande…
Wie würdet ihr euer musikalisches Konzept des 6. Studioalbums beschreiben. Mehr als 1/3 der Stücke stammen aus der Feder von Astor Piazzolla. Ist es auch eine kleine Hommage an das Jubiläumsjahr Piazzollas (*11.03.1921) geworden?
Christian: Ja, das Piazzolla-Jahr ist auf jeden Fall ein guter Grund zum Feiern! Und wir wollten eine Seite von Piazzolla zeigen, die nicht so bekannt und dennoch fabelhaft ist, wie z.B. die Musik seines ersten eigenen Orchesters 1946-1948 und Musik, die er nach seinem Studium bei Nadia Boulanger in Paris schrieb wie z.B. Melancólico Buenos Aires: Mitreißend, schon avantgardistisch für die damalige Zeit, und trotzdem noch zum Teil im Format des klassischen Tangoorchesters. Eine herrliche Mischung! Der Bogen der CD spannt sich von Tangos des Orchesters von Aníbal Troilo, in dem Piazzolla seine Karriere begann, bis zu den Tangos für sein erstes Quintett wie der magischen Romance del Diablo von 1965. Dazu Tangos von Pugliese und Salgán, der anderen Erneuerer des Tangos in dieser Zeit.
Beim Hören fiel uns auf, dass Quinteto Ángel auf jeden Fall ein Faible für (besonders schöne) Tangowalzer hat. Wer ist bei euch der Walzerkönig?
Frank: Danke, das freut uns! Unser Walzerkönig ist auf jeden Fall Rodolfo, unser Kontrabassist – der trägt uns mit seinem Drive und Puls wunderbar durch diese schönen Stücke, ohne dass wir einen Drehwurm bekommen…
Wie auch auf den anderen CD’s von euch gibt es bei „Alma, corazón y vida“ einiges im Stil des Salgán-Orchesters und seinem Quinteto Real zu hören. Wie weit ist das Konzept? Verwendet ihr diesen Stil bewusst auch als Wiedererkennungseffekt für Quinteto Ángel? Wie ist diese Vorliebe entstanden, obwohl es bei euch ja keine Gitarre, sondern ein Cello als 5. Instrument in der Band gibt?
Christian: Der Stil von Salgán und dem Quinteto Real gefällt uns so gut, weil er eine unglaubliche Leichtigkeit und Eleganz hat, und sogar so eine Art geistreichen Witz mitbringt, den man im Tango sonst sehr selten findet. Hinter jeder Ecke wartet eine neue musikalische Überraschung auf die Zuhörer*innen. Das ist wie eine große Spielwiese für jede Musiker*in, wenn man die Virtuosität dieser Arrangements einigermaßen gemeistert hat! Aber auch die mehr orchestralen, warmen Töne wie beispielsweise bei den Troilo-Arrangements sind uns wichtig für den Sound des Quintetts. Dort finde ich es wunderbar, dass Bernhard und Sam uns mit Violine und Cello einen herrlichen Streichorchester-Sound zaubern können!
Wer hat die Arrangements für das aktuelle Album geschrieben? Ist es Teamwork, arrangiert jeder Mal etwas oder transkribiert jeder einfach seine eigene Stimme?
Frank: Christian und ich schreiben die meisten Arrangements und Transkriptionen für das Quintett. Für diese CD hat aber auch Sam beim Repertoire geholfen und den Tango Zum beigesteuert. Trotzdem ist es immer Teamwork, wir holen uns fortwährend Feedback in Bezug auf die Spielbarkeit der anderen Instrumente, und jeder optimiert noch einmal seine eigene Stimme. Im Probenprozess kann es dann natürlich auch sein, dass wir merken, etwas klingt so besser oder liegt so günstiger, da gibt es auch noch Änderungen.
Ist diese 6. CD das Geschenk an euch selbst für 20 Jahre Quinteto Ángel?
Christian: Es ist schon ein Wahnsinn und ich kann es manchmal kaum glauben, dass wir jetzt schon 20 Jahre zusammen spielen. Bernhard, Frank und ich waren von Anfang an dabei, Rodolfo kam 2006 dazu und Sam als „Nesthäkchen“ auch schon 2008! Johannes, der von 2003-2008 unser fester Cellist war und heute noch gern gesehener Gast ist, spielt beim Titelstück „Alma, corazón y vida“ einen von zwei Celloparts – das fühlt sich manchmal schon wie eine zweite Familie an. Insofern – ja, wir schenken auch uns die CD und sind glücklich, dass wir es immer noch miteinander aushalten!
Euer Ansehen und eure Popularität in der Tangoszene ist groß. Für welche Zuhörerschaft habt ihr „Alma, corazón y vida“ hauptsächlich konzipiert?? Für Tangotänzer, Konzertgänger, …?
Christian: Zunächst einmal sind das meiner Meinung nach alles musikalisch wunderschöne Stücke, die wir ohne Ausnahme auch in einem Konzertsaal spielen würden. Aber alle, die uns kennen, wissen, dass wir bei der Stückauswahl immer darauf achten, dass die Tangos auch gut tanzbar sind. Wir hoffen also sehr, dass der eine oder andere in seinem Wohnzimmer eine Runde zu unserer Musik dreht, bis die Tanzflächen wieder öffnen dürfen.
Sollte es noch länger unmöglich sein, live für ein Konzert- oder Milonga-Publikum zu spielen, interessiert uns noch die letzte Frage, wie ihr eure CD eurem Publikum und Fans vorstellen wollt. Wäre für euch ein weiteres Streaming-Konzert interessant, so wie ihr es im Mala Junta in Berlin am Mai 2020 zu Beginn der Pandemie gespielt habt?
Frank: Ich komme jetzt mal wieder auf den Anfang des Interviews zurück, wo ich vom positiven Denken gesprochen habe – ich bleibe jetzt einfach mal dabei und glaube fest daran, dass wir Euch „Alma, corazón y vida“ bald im Konzert oder zum Tanz „live und in Farbe“ vorstellen können!
Lieber Christian und Frank, vielen herzlichen Dank für das Interview und Alles Gute!